Als zentraler Mittelpunkt chinesischer Politik ist der Tian’anmen-Platz in Peking für die neuere Geschichte von großer Tragweite.
Studentendemonstrationen im Mai 1919 wurden niedergedrückt, hier erfolgte die Gründung der Volksrepublik China am 1.10.1949, die Paraden der Rotgardisten unter Mao wurden ab 1966 hier abgehalten und an dieser Stelle fand die Studentenbewegung am 4. Juni 1989 ein blutiges Ende.
Den Platz lasse ich erst einmal in seiner ganzen Weite auf mich wirken, indem ich in seinem Zentrum an der Gedenksäule für die Volkshelden stehe und mich langsam im Kreis drehe.
Ein geschickter politischer Schachzug der Kommunisten war es am 1.5.1958, mit der 38 m hohen Stele noch im Nachhinein die Sicht der verstorbenen Kaiser zu stören, denn sie konnten von Norden aus dem Kaiserpalast heraus in Richtung Süden durch die Tore stolz auf ihr Reich blicken. Nun steht hier das Gedenken an die unsterblichen Vorbilder für das Volk, ein Affront für die Monarchie.
Personenkult im Süden
Im Süden schließt der Platz mit dem Mao-Mausoleum ab. Kilometerlange Schlangen schieben sich an den Besuchstagen durch scharfe Kontrollen und der Platz ist erfüllt mit einer ehrfurchtsvollen Atmosphäre. Eine Stunde Anstehen muss man für fünf Minuten Durchqueren der monumentalen Eingangshalle mit der 3,5 m hohen Mao-Statue in Kauf nehmen. Dann darf man im Vorbeigehen einen 20-Sekunden-Blick auf die in einem Kristallsarg liegende Statue des großen Vorsitzenden werfen, immer in dem Bewusstsein, dass es möglicherweise nicht das Original ist, das dort liegt, sondern eines seiner wächsernen Doubles aus dem Kühlkeller.
Im Westen etwas Neues
Der Platz wird im Westen vom chinesischen Parlament begrenzt. Hier ist der Sitz des Volkskongresses, der nur sporadisch in dem 350 m langen Gebäude zusammentrifft. Die Halle wird wohl auch für Staatsempfänge und andere politische Anlässe genutzt und die prunkvollen Räume können besichtigt werden. Beeindruckend soll der Plenarsaal mit 9700 Plätzen sein. Mich interessiert aber viel mehr das gleich dahinter schimmernde futuristische Nationaltheater, das sich blasenartig wie eine geschliffene Mondbasis in einem See wölbt.
Im Osten dominiert die museale Welt
Das Geschichts- und Revolutionsmuseum im Osten des Platzes eröffnete 1961 seine Tore. Die Chinesen planen, es zum größten Museum der Welt zu machen, um das Beste an chinesischer Kunst und Kultur zu präsentieren.
Die Verbotene Stadt im Norden des Tian’anmen-Platzes
Mit dem Tor des Himmelsfriedens beginnt die beeindruckende Besichtigung der Kaiserstadt, der Stadt, die nur dem Kaiser und seinen Bediensteten vorbehalten und gleichsam auch sein Gefängnis war. Pekings einziges öffentliches Mao-Portrait prangt über den fünf Durchgängen. Der einstige große Vorsitzende schaut somit auf sein eigenes Mausoleum im Süden.
Die Verbotene Stadt zählt zu den imposantesten Palastanlagen der Welt. Festungsartig war sie der Lebensraum des einsamen Herrschers inmitten unzähliger Thronhallen, kleinerer Palastareale, üppiger Gartenanlagen und farbiger Keramikziegelmauern.
Für die Besichtigung des weitläufigen Areals muss man 4 bis 5 Stunden rechnen. Ich tauche ein in eine Welt aus hellgrauen Marmorbrücken, mit vergoldeten Bronzedrachen als Portalshüter, säulenumstandenen Palästen mit geschwungenen Pagodendächern, die mit Fabelwesen als Dachreiter exotisch und unwirklich anmuten.
Das Balkenwerk der gewaltigen Hallen mit den hölzernen Decken und Dachverstrebungen ist in leuchtendem Rot, Grün, Blau und Gold renoviert worden. Überall schwingt der Drache, das Symbol des Kaisers, meist in Gold oder Marmor seinen mäandrierenden Körper. Überall herrscht Symmetrie (Grundriss, Achsen, Höfe, Thronsäle) und auf den Tafeln liest man gemäß der Harmonie alles auf Chinesisch und Mandschurisch.
Ohne Beschilderung und Lageplan verläuft man sich in dem unüberschaubaren Palastterrain, wo in geheimnisvollen Nebenhöfen riesige rauchende Fässer duften und abgeschlossene kleinere Palastbereiche, die Wohnbereiche der Kaiserin und der Konkubinen, heute als Museum gestaltet sind. Der Phönix als Symboltier der Kaiserin findet in mannigfaltiger Kreativität einen Ausdruck.
Staubige Relikte wie jahrhundertealtes Mobiliar, golddurchwirkte Vorhänge, Wandteppiche, Prunkuhren, Jadejuwelen und Porzellan geben einen Eindruck einer längst vergangenen chinesischen Lebensweise. Fassungslos sehe ich durch die Scheiben die kostbaren Raritäten aus Cloisonné und filigrane Ebenholz- und Elfenbeinschnitzereien – die chinesische Ausstattung einer einst pompösen Zeit.
Ganz besonders faszinierend finde ich die Zahlensymbolik, die die Chinesen überall versteckt haben: dreifach gestufte Terrassen, fünf Krallen der Löwen, sieben Dachreiter hintereinander, neun Nagelköpfe an den gigantischen Türen – das Ungerade präsentiert das Yang, das Männliche und Besonnene.
Das ganze Areal der Kaiserstadt kann man vom Kohlehügel im Norden der Verbotenen Stadt am allerbesten ermessen. Der Anstieg lohnt sich auf jeden Fall, auch wenn der ewige Dunst über der Stadt einen grauen Hintergrund abgibt.
Der Tian’anmen-Platz ist der Ausgangspunkt einer fesselnden Entdeckungsreise durch Peking – eine Stadt zwischen Tradition und Moderne.