Meine Augen brauchen eine Weile um sich an das kunterbunte Wirrwarr aus Stofffetzen zu gewöhnen. Nach ein paar Augenblicken begreife ich: Das wird mein Schlafplatz für die nächsten vier Nächte an Bord des Amazon Star sein. Das Übernachten in Hängematten ist wohl das Charakteristischste an der mehrtägigen Flussfahrt auf dem voluminösesten Fluss der Welt. Fünf Tage und vier Nächte werden wir für die 1.500km von Belém im Norden Brasiliens nach Manaus, die Zwei-Millionen-Metropole im Herzen des Amazonas, benötigen.
Das faszinierende Dschungel-Leben
Auf dem Schlafdeck hängen bunte Hängematten wild durch- und übereinander. Der begrenzte Platz muss maximal ausgenutzt werden, um die zahlreichen Passagiere unterzubringen. Der Amazon Star ist kein Touri-Boot, das Besucher über den mächtigsten Fluss der Welt schippert, sondern ein absolut unentbehrliches Transportmittel im Dschungel. Da es in dem riesigen Regenwaldgebiet praktisch keine Straßen gibt, verbinden die Flussdampfer die kleinen Orte entlang des Flusses miteinander. Wer von der heißen Atlantikmetropole Belém in die Dschungel-Großstadt Manaus reisen will, kann nur in den Flieger steigen oder muss eben fünf Tage auf einem Flussschiff verbringen.
Letztere Variante, wenn auch sehr zeitaufwendig, ist in jedem Fall die lohnenswertere Alternative. Denn es gibt keine bessere Möglichkeit das größte Regenwaldgebiet dieser Erde kennenzulernen und gleichzeitig seine majestätische Ausdehnung und Größe zu spüren. Auch über das Leben der Menschen in diesem isolierten, aber unglaublich fruchtbaren Gebiet erfährt man viel. Denn am Ufer tauchen immer wieder kleine Holzhütten mit bunten Wäscheleinen, Steg und Fischerboot auf, in denen die Menschen leben. Fast unauffällig passen sich die bescheidenen Hütten in die üppige, saftig-grüne Umgebung ein. Manchmal stehen mehrere Häuser zusammen und bilden kleine Siedlungen, die teilweise sogar ihre eigene Kirche haben. Andere Häuser tauchen völlig isoliert im Dschungel auf und danach kommt wieder kilometerlang nichts.
Manche Bewohner schwingen sich in ihre Holzkanus und paddeln wild auf unserer Schiff zu. Zahlreiche Holzkanus liegen im Fluss um unser Boot herum, darin erwartungsvolle Kindergesichter, vereinzelt auch Frauen. Einige Passagiere schmeißen prall gefüllte, gut verschlossene Plastiktüten und verpackte Süßigkeiten über Bord. Der Brasilianer in der Hängematte neben mir klärt mich über das Geschehen auf: Die Passagiere auf den Flussschiffen nehmen meist Kleider- und Essenspenden mit und werfen diese dann in den Fluss, damit die Amazonasbewohner sie einsammeln können. Die meisten leben so isoliert, dass es fast unmöglich ist, an Kleidung oder Süßigkeiten zu kommen oder sie können es sich schlichtweg nicht leisten.
Fliegende Händler in Holzkanus und rosa Delphine
Andere Amazonas Bewohner sind unternehmerischer eingestellt. Auch sie paddeln entschlossen auf unser Boot zu, werfen eine Leine mit Haken aus, der sich an einem Pfeiler verkeilt und erklimmen das Boot. Als ich das zum ersten Mal sehe, denke ich an Diebe oder Schwarzfahrer. Aber die Jungs wollen nur ihre frische Ware unter die Leute bringen. An Bord verkaufen Sie getrocknete Shrimps, Käse und exotische Früchte, die sie auch blitzschnell loswerden. Das Essen an Bord ist nicht besonders abwechslungsreich, sodass sich alle dankbar auf die Leckereien stürzen. Etwa sieben bis acht Mal wird das Boot zwischen Belém und Manaus an einem Hafen anlegen. Wenn das tagsüber passiert drängen sich die Passagiere an die Reling, um das bunte Treiben an den Amazonas-Häfen zu erleben. Außerdem ist es die größte Abwechslung während der Fahrt und die Gelegenheit sich mit Essen zu versorgen, das nicht aus der Bootskantine stammt. An den Häfen bieten Einheimische fertige Gerichte, Selbstgebackenes, dampfende Maiskolben, Käse, Bananenchips und Eis an, die sie teilweise an langen Stöcken befestigt den Passagieren auf den oberen Decks reichen.
Während der Fahrt setze ich mich mit einem kühlen Getränk an die Reling und bestaune die vorbeiziehende Landschaft und die unglaublichen Ausmaße dieses gigantischen Flusses. Vor allem die erste Teilstrecke bis nach Santarém ist besonders schön. Das Boot durchquert enge Kanäle, sodass die faszinierende, üppige Pflanzenwelt zum Greifen nah scheint. Mit etwas Glück kann man hier auch typische Amazonasbewohner wie Affen oder Papageien sichten. Auf jeden Fall unübersehbar sind die zauberhaften Botos, die wendigen rosa Flussdelphine, von denen es im Amazonas nur so wimmelt und die sich vor allem während des Sonnenaufgangs und Untergangs über der Wasseroberfläche blicken lassen.
Fazit
Eine Fahrt mit dem Flussschiff über den Amazonas ist ein ganz besonderes Reiseerlebnis, bei dem man unter Einheimischen reist, viel über das Leben am mächtigsten Fluss der Welt erfährt und eine Ahnung von den unglaublichen Ausmaßen des größten Regenwaldgebiets der Erde erhält.